Aufbegehren und Wunsch nach Frieden
Die Programmgestaltung des Festivals „Utopie jetzt!“ kann im Jahre 2014 nicht ohne Reaktion auf die europäische Geschichte der letzten hundert Jahre geschehen:
zu sehr haben die beiden Weltkriege und ihre Folgen unsere Zeitsituation geprägt. Auch Kunst und Kultur haben sich intensiv mit dieser Lebensrealität und ihren geschichtlichen Auswirkungen, vor allem aber mit den daraus resultierenden menschlichen und persönlichen Schicksalen auseinandergesetzt.
Vielfältig sind die Ansatzpunkte und Betrachtungen: Der amerikanische Komponist Charles Ives schrieb das Lied „In Flanders Fields“ auf einen Text aus einem Kriegstagebuch aus dem Jahr 1915.
Beim Eröffnungskonzert des WDR Rundfunkchor Köln nimmt die Uraufführung von Jan Sandström „In Flanders Fields“ darauf Bezug und drückt damit ebenso wie das Stück „Plainsongs for Peace and Light“ von Jonathan Harvey und „Le vrai visage de la paix“ von Rudolf George Escher den Wunsch nach Frieden in der Welt ganz unmittelbar aus.
Wolfgang Rihms „Mit geschlossenem Mund“ entstand im Gedenken an in Argentinien verschwundene Menschen: stilles Aufschreien gegen die Brutalität der Diktatur. Das Aufbegehren Martin Luther Kings in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und seine denkwürdige Rede vom August 1963 in Washington thematisieren die Werke „Mountain Top“ des Niederländers Jacob Ter Veldhuis und „O King“ des Italieners Luciano Berio.
Klagegesänge und offene Fragen
Zentrum des Abschlusskonzerts ist das Violinkonzert Karl Amadeus Hartmanns, ein ahnungsvoller Klagegesang aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, der die aufziehende Katastrophe von Terror und Vernichtung zum Inhalt hat. Manuel Hidalgos Konzert für Akkordeon und Streicher-Kammerorchester „Gran Nada“ steht für das unabgeschlossene Fragen und Nicht-Festgelegte von Kunst als einer Position, die sich in kritischer Haltung zur eigenen Zeit und ihren Voraussetzungen verortet sieht.
Traditionell setzt sich auch der Gottesdienst am dritten Festivaltag mit dem Festivalthema auseinander. Den Betrachtungen zum 110. Psalm „Dixit Dominus“ der Theologin Barbara Schlenke werden eine traditionell-musikalische Darstellung des Psalms aus der Feder Adriano Biancheris sowie die der Kompositionen Dieter Schnebels und Arvo Pärts gegenübergestellt.
Das Festivalprogramm zeigt einmal mehr, wie von den Anfängen der europäischen Musiktradition bis heute Komponisten auf sinnlicher und intellektueller Ebene die Weltgeschehnisse reflektiert und kommentiert haben.
Manfred Schreier